Juttas Geschichte
Ich bin eine Frau, die in den 60er Jahren geboren wurde. Meine Eltern waren geprägt durch ihre Kriegserfahrungen in der Kindheit und die Einschränkungen der Nachkriegszeit, die ihnen viele Perspektiven und Möglichkeiten genommen haben und die sie zusätzlich vor viele Herausforderungen gestellt haben.
Es waren ganz andere Zeiten als heute. Die Bedürfnisse der Kinder wurden kaum gesehen oder für wichtig erachtet. Sie wurden oft emotional allein gelassen, so wie auch ihre Eltern es vielfach waren. Es war die Zeit des Wiederaufbaus, des beginnenden Wohlstandes, aber viele mussten immer noch nach dem Weg suchen, wie sie ihr Leben bewältigen können, im Materiellen, aber auch in ihren psychischen Belastungen, über die zu der Zeit kaum gesprochen wurde, für die es wenig Hilfe gab.
Bei mir kam als Kleinkind eine Missbrauchserfahrung durch einen Fremden hinzu, die mich und auch meine Familie traumatisiert hat.
Es war und ist für meine Eltern eine grauenhafte Erfahrung, dass sie mich nicht hatten beschützen können. Hinzu kommt, dass es zu der Zeit keine psychologische Hilfe gab, weder für mich, noch für meine Eltern.
Da ich immer schon eine hochsensible Person war, haben mich all diese Erfahrungen umso tiefer geprägt und belastet.
So wurde ich zu einer Frau, die eher depressiv und ängstlich geprägt war, die mit Selbstmordgedanken gekämpft hat, die viel Ruhe brauchte, nicht so leistungsfähig war, wie es erwartet wurde oder nötig gewesen wäre, und die durch all das zur Außenseiterin wurde. Wir waren zwar katholisch, aber das spielte im Familienleben kaum eine Rolle. Erst viel später ist der Glaube für mich wichtig und zur Hilfe geworden.
Ich habe an vieles in meinem Leben kaum oder nur undeutliche Erinnerungen, so auch an die Abtreibung. Ich muss ca. 24 Jahre alt gewesen sein, hatte Beziehungen mit mehreren Männern und wusste nicht, von welchem Mann das Kind war. Ich hatte eine Riesenangst, dass ich mit dem Kind überfordert sein würde, weil ich in meinen Augen sowieso nicht besonders lebenstüchtig war. Ich hatte keine Arbeit, kein Geld, keine Freunde und ein zerrüttetes Verhältnis zu meinen Eltern. Außerdem war ich unter Zeitdruck, denn ich war schon in der 10. SSW. bevor ich es überhaupt gemerkt habe.
Zudem hatte ich nicht gelernt, wie man mit Konflikten auf gute Weise umgehen kann, war z.T. jähzornig, uneinsichtig, verwirrt und verbohrt. Für mich gab es immer nur die Option: entweder es läuft so, wie ich es haben möchte, oder es läuft gar nicht. So bin ich dann zur Abtreibung gegangen, weiß aber nicht mehr in welchem Monat das war oder in welchem Krankenhaus.
Erst als ich gläubig wurde und mich mit dem Thema der Abtreibung auseinandergesetzt habe, wurde mir bewusst, dass es damals eine (einzige) Frau gab, die mir zwar immer ein bisschen merkwürdig vorkam, die mir aber helfen wollte, die für das Kind eingetreten ist und Hilfe und Begleitung angeboten hat.
Ich war damals unfähig, diese Hilfe zu erkennen und anzunehmen.
Mein Leben blieb schwierig und anstrengend. Ich konnte lange nicht mit Kindern umgehen, ich fühlte mich allgemein eher überfordert, bin auch heute nicht sehr belastbar und schäme mich manchmal dafür… und dass ich noch lebe, dass ich schon 60 Jahre geworden bin, ist für mich manchmal ein Wunder.
Inzwischen habe ich mich mit dem Thema Abtreibung beschäftigt und einiges dazu gelesen, aber trotzdem ist da noch „eine Wand“.
Nachdem ich durch den Glauben verstanden habe, was da wirklich geschehen ist, habe ich 2 Jahre lang fast nur geweint und mir gewünscht, ich könnte die Zeit zurückdrehen.
Ich bin auch immer noch nicht so recht in der Lage, das Kind wirklich zu „personalisieren“, bzw. ein Trauerritual durchzuführen. Aber vielleicht bin ich schon weiter in der Verarbeitung und Genesung, als ich mir selber zutraue. Seit ich lerne zu beten, daran arbeite Gott zu vertrauen und Kontrolle abzugeben, seitdem wird es besser mit mir…
Die Trostkiste ist eine schöne Idee. Ich würde gerne eine bekommen…
Es ist schon heilsam, erzählen/schreiben zu dürfen… vielleicht kann ich irgendwann auch mal telefonieren, damit tue ich mich noch schwer…
Vielen Dank für das liebe Trostpaket. Das eigne ich mir gerade Schritt für Schritt an. Ich muss mich wirklich sehr an alles herantasten… aber das darf ja sein…
Sehr gerne nehme ich das liebe Angebot an, eine Glaskugel mit dem Namen Michal abzulegen, der Name, den ich meiner Tochter gegeben habe. Gestern konnte ich zum ersten Mal dieses Ereignis im Gebet gegenüber Gott direkt ansprechen… dass ich hoffe, dass sie bei Ihm ist und mir vergeben kann. Für mich ist das ein großer Schritt… das direkt Ihm gegenüber ansprechen gekonnt zu haben…
Nachdem die Kugel ausgesucht war, geklärt war, dass für Michal in der hl. Messe gebetet wird und die Kugel dann auf dem Friedhof abgelegt wird, dass davon ein kleiner Film für sie gemacht wird, schreibt J.:
Ja, das fände ich schön… das hilft Michal „greifbarer“, persönlicher für mich zu machen… sie kommt mir dadurch nahe…
Sie helfen mir, Michal lieb zu gewinnen…
Obwohl ich immer noch unsicher bin, habe ich das Gefühl, dass der „Kontakt“ mit Michal hergestellt ist.
Und interessant ist:
Ich hatte immer undefinierbare Bauchschmerzen… die werden gerade besser… ob das einen Zusammenhang hat, weil Versöhnung geschieht, ich mich ein bisschen mehr als „Mutter“ empfinden kann… mich auf Michal im Himmel freue?
Es geht mir viel besser, seit Sie sich meiner angenommen haben. Ich wusste gar nicht, dass das doch so einen großen Einfluss auf mein Leben hat/hatte…
Jetzt warte ich nur noch auf einen geeigneten Zeitpunkt, um es den Eltern zu erzählen.
Zusammengefasst aus einem Email-Austausch über den Zeitraum von ca. 17 Wochen.