Buchbesprechung „Abtreibungsüberlebende“
Das Ärztepaar Ney ist in zahlreichen Studien der Frage nachgegangen, was für Folgen es für Kinder hat, deren Eltern eine Abtreibung des Kindes erwogen oder versucht haben oder Geschwister des Kindes abgetrieben haben. Diese Kinder können die folgenden Symptome zeigen:
Sie fühlen sich wertlos, können anderen nicht trauen, haben Bindungsängste, sind zynisch, unreif und bringen sich leicht in Suchtabhängigkeiten; sie haben möglicherweise eine Antriebsschwäche, eine geringe Lebenskraft bis hin zu Todessehnsucht und Selbstmordgedanken. Die Tatsache, dass Geschwister abgetrieben worden sind, merken die überlebenden Kinder dabei häufig intuitiv – sie ahnen, dass jemand fehlt.
Kinder, die beinahe abgetrieben worden wären oder von denen ein Geschwister abgetrieben worden ist, misstrauen ihren Eltern, die daran dachten zu töten oder töten ließen. Sie fühlen sich unter dem ständigen Druck, erwünscht zu bleiben. Deswegen suchen sie intensiv nach Anerkennung. Sie wollen «politisch korrekt» sein, um erwünscht zu bleiben.
Diese Symptome können die Betroffenen auch noch als Erwachsene mit sich tragen und darunter leiden. Insbesondere dann, wenn die Ursache nicht ans Licht kommt, wenn sie nicht verarbeitet werden kann, können sie sich selbst oft nicht verstehen. Sie fühlen sich vielleicht sogar schuldig dafür und schämen sich, wenn sie durch unerklärliche Verhaltensweisen, und aus den dahinter verborgenen unerfüllten Bedürfnissen heraus, ihr Leben irgendwie nicht auf die Reihe bekommen, wenn sie traurig und unglücklich sind, obwohl sie das selbst nicht richtig begründen können, wenn Beziehungen immer wieder schwierig sind oder sogar zerbrechen.
Der Begriff „Abtreibungsüberlebende“ kann da zu einem wichtigen Verständnisschlüssel werden und zu so etwas wie einer Diagnose führen, die dann einen Weg zu Hilfe und Heilung eröffnen kann, und zuallererst dazu, sich selbst besser – oder überhaupt zum ersten Mal – verstehen und annehmen zu können.
Die Traumata derer, die Unfälle, Naturkatastrophen, Angriffe (auch Missbrauch), Kriege oder Völkermord überlebt haben, werden heutzutage weitläufig anerkannt. Die Symptome dieser Überlebenden sind inzwischen gut bekannt und ihre Symptome und Konflikte ähneln sich: Sie haben alle immer mal wieder das Gefühl, sie sollten eigentlich tot sein.
Das ist für Abtreibungsüberlebende genauso, aber ansonsten gibt es grundsätzliche Unterschiede, denn die eigenen Eltern haben einen Mordversuch unternommen oder Geschwister getötet oder töten lassen:
„Abtreibungsüberlebende freilich sind einzigartig. Denn eben die Eltern, welche die Kinder empfingen und sie normalerweise hätten lieben sollen, planten den Anschlag auf ihr Leben oder auf das Leben ihrer Geschwister. Ein tieferes Rätsel oder einen schwerwiegenderen psychologischen Konflikt kann es nicht geben.“ (im Buch S. 67)
„All die Gruppen (anderer Überlebender) zeigen Aspekte von Überlebensschuld, doch sie erleben weitaus weniger existentielle Angst, Bindungsangst, Selbstzweifel, ontologische Schuld (Ontologie = die Lehre vom Sein) und Heimlichtuerei. In all jenen anderen Situationen versuchten die Eltern meist ausnahmslos ihre Kinder gegen die Gewalt, die sie alle bedrohte, zu beschützen.“ (im Buch S. 68) Natürlich gibt es Ausnahmen, z.B. Missbrauch und/oder spätere Gewalt durch die Eltern, dennoch ist es zumeist ein deutlicher Unterschied, eine Verstärkung der Überlebens-Symptomatik, insbesondere dann, wenn die Eltern es auch später nicht geschafft haben, dieses Kind innerlich anzunehmen und zu bejahen.
Philip Ney war einer der ersten, der das Syndrom des PASS („Post-Abortion Survivor Syndrome“) entdeckt, dessen Symptome aufgelistet und Therapieansätze entwickelt hat.
Das „Survivor-Syndrome“ ist schon lange bekannt, ist aber erst durch Neys Pionierarbeit auch bei Abtreibungsüberlebenden diagnostiziert worden. Wie das Ehepaar Ney aufzeigt, gibt es viele (zehn bzw. elf) Formen von Abtreibungsüberlebenden. Manchmal wird der Zwilling abgetrieben oder ein anderes Geschwister oder es wird abgewogen, ob ein ungeborenes Kind geboren werden soll oder nicht. Manche Kinder leben nur, weil ihre Mütter zu spät von ihrer Schwangerschaft erfahren haben.
Die erwünschten Kinder einer in-vitro Fertilisation wiederum verdanken ihr Leben der Tatsache, dass sie gesünder als ihre Geschwister waren, bzw. als „die Besten“ angesehen wurden.
Wo es viele Abtreibungen gibt, da gibt es noch mehr Abtreibungsopfer. Opfer sind nicht nur die getöteten Kinder, sondern auch die Mütter, die Väter und eben auch die überlebenden Kinder.
In dem Buch wird darüber hinaus thematisiert, dass die große Zahl von traumatisierten Opfern nicht ohne gesellschaftliche Folgen bleiben wird.
Und auch eine spirituelle Konsequenz wird angesprochen: Das Misstrauen Gott gegenüber, was umso tragischer ist, weil nur Er das Bewusstsein unbedingter Liebe und eines absoluten Gewollt-seins geben kann, trotz des elterlichen Versagens.
Dass es dennoch möglich ist, Heilung durch Gottes Hilfe zu finden, zeigt ein Zeugnis, das auf dieser Homepage zu finden ist.
Abtreibungsüberlebende. Von Philip G. Ney & Marie A. Peeters-Ney, Paperback, 160 Seiten. 10 Euro. ISBN-13: 978-3-9503846-0-4.
Zu bestellen beim Immaculata-Verlag: office@immaculata.at