Die Geschichte meiner Abtreibung
Ich würde bald eine neue Stelle als Groß- und Außenhandelskauffrau in Düsseldorf anfangen. Um mich nochmals zu erholen, bevor ich die neue Stelle anfange, bin ich dann Ende April bis Anfang Juni an die Côte d’Azur gefahren, in ein Feriendorf.
Während einer Feier bekamen wir ein Begrüßungsgetränk. Ich habe auch eins getrunken. Dann saß ich mit 2 Herren zusammen an der Bar. Wir haben uns noch etwas bestellt. Ich habe nur einen kleinen Schluck genommen und wurde dann plötzlich total müde. Ich konnte mich nicht mehr halten und bin an der Bar eingeschlafen. Der Bursche, der mir das Getränk gegeben hat, hat mir KO-Tropfen ins Glas geschüttet. Nach einer Weile wurde ich kurz wach und sah, dass der Raum bis auf zwei Burschen leer war.
Ich wollte die Treppe runter, schnell nach draußen, zu meinem Zimmer laufen und mich ganz schnell hinlegen. Der Bursche aus der Küche hat mich festgehalten. Ich habe mich losgerissen und bin die Treppe runter. Er kam mit dem anderen hinterher. Dann war ich wieder zu erschöpft. Der andere Bursche ist nach Hause gefahren. Der aus der Küche hat mich mit in sein Zimmer geschleppt. Dann bin ich nochmals etwas aufgewacht und er hatte mich vergewaltigt. Mir war elendig schlecht. Um halb 8 morgens war ich auf einmal richtig wach und die Übelkeit war auch weg. Der Typ hat wohl noch geschlafen. Ich habe mich angezogen und bin in mein Zimmer und habe mich sofort geduscht. Dann habe ich mir nichts anmerken lassen. Eine Woche war ich noch dort. Der Bursche hatte wohl zu viel getrunken und ihm war es sehr peinlich, mich zu sehen. Ich habe das alles verdrängt.
Teil 2:
Anfang Juni war ich dann wieder zu Hause und ging wieder zur Arbeit. Dann blieb meine Menstruation aus und eines Tages litt ich an einer fürchterlichen Übelkeit und Müdigkeit. Ich ging zum Frauenarzt. Er hat mit Ultraschall festgestellt, dass ich in der 7. Woche schwanger bin. Ich war am Boden zerstört und hatte niemanden zum Reden. Es gab kein Internet, keine Handys, kaum Beratungsstellen. In einer Telefonzelle habe ich dann im Telefonbuch eine katholische Beratungsstelle gefunden und habe angerufen. Ich habe gesagt, dass ich eine Abtreibung machen lassen möchte. Die Dame am Telefon sagte sehr freundlich „Nein.“ Da war ich erstmal erleichtert. Jetzt bekomme ich Hilfe, wie es ohne Abtreibung weitergeht, dachte ich.
Dann habe ich erzählt, was mir widerfahren ist und die Dame am Telefon ist verstummt. Dann gab sie mir schnell eine Telefonnummer von einer Beratungsstelle, wo man den Schein für eine Abtreibung bekommt. Dort hatte ich dann nach der Arbeit einen Termin. Die Beraterin war von meiner Lage entsetzt und ich habe schnell den Schein bekommen. Es gab nur in Dortmund Ärzte, die Abtreibungen vornahmen. Dann musste ich nach einer Woche wiederkommen. Mutterseelenallein. Ich kam in den Behandlungsraum und eine Arzthelferin, wie ein lieber Engel, hat mir gesagt, dass ich mich unten frei machen solle. Dann saß ich auf dem Stuhl und die Ärztin hat die Kanüle für die Narkose gelegt. Dann bin ich auf einer Liege aufgewacht. Dort war auch ein großes Fenster. Mir war übel von der Narkose. Die Arzthelferin hat gesagt, ich solle weiter atmen, dann geht die Übelkeit weg. Die war dann sofort weg. Die Sonne kam durch und die Glocken haben geläutet. Ich hatte keine Schmerzen und habe kaum geblutet. Mit einem Taxi bin ich dann zu einem Stundenhotel in die Innenstadt gefahren, um mich auszuruhen. Spät nachmittags bin ich dann nach Hause gefahren und musste alles geheim halten. Es war furchtbar. Einige Tage war ich krank geschrieben. Der Tag der Abtreibung war der 16. Juni 1988 (ein Donnerstag). Der 17. Juni war dann ein Feiertag. Am 01. Juli habe ich die neue Stelle angetreten.
Teil 3
Den Schmerz möchte ich endlich loslassen.
Die Zeit nach dem 16. Juni war furchtbar. Diese Sache hat mich immer begleitet. Im Herbst 1988 bekam ich eine schwere Depression. Erschöpfung und Weltuntergangsstimmung. Ich habe es strickt geheim gehalten und habe mich zur Arbeit gezwängt. Nach einem halben Jahr kam ich da wieder raus.
Als dann der erste Muttertag nahte, wurde ich völlig nervös und aufgeregt. Ich war mit meinen Geschwistern bei meinen Eltern. Wir sind immer Essen gegangen. Dann bekommen Mütter Blumen von den Kellnern. Ich hatte furchtbare Angst, dass jemand rumschreit: „Die da hat kein Kind. Die bekommt keine Blumen.“ Das ist Gott sei Dank nie geschehen.
Es gab so viele Situationen:
- Der Anblick eines Pärchens mit Säugling war für mich unerträglich.
- Ich hatte einen Alptraum, dass ich im Unterleib stark blute und es nicht mehr aufhört.
- Während der Depression im Herbst hatte ich sogar in der Stadt manchmal das Gefühl, dass der Unterleib stark blutet
- Als ich noch schwanger war, habe ich geträumt, dass ich im Krankenhaus liege mit meinen 2 neugeborenen Babys im Arm. Das fühlte sich richtig echt an.
- Mein Selbstwertgefühl war vor allem in der Zeit kurz nach der Abtreibung sehr gering. Ich war meistens sehr unvorteilhaft gekleidet und frisiert. Einige Zeit sah ich furchtbar aus. Manche haben das kommentiert. Ich habe es allmählich verbessert.
Das sind viele Situationen, die sehr geschmerzt haben. Wenn es damals mehr Beratungsstellen gegeben hätte und bessere Hilfe, wäre alles anders gekommen. Ich habe auch später von den Gehsteigberaterinnen erfahren. In dem Video hat eine Gehsteigberaterin vor der Praxis eine Frau angesprochen und gefragt: „Was fehlt Ihnen? Wie kann ich helfen?“. Das war bei mir nicht. Es gab kein Internet, keine Handys. Keine Stellen, die rund um die Uhr zu erreichen waren.
Für ein Telefongespräch wäre ich jetzt auch bereit. Ich würde gerne wissen, was es für Wege gegeben hätte und was es heute für Wege gibt.